Osmosekraftwerk

Osmosekraftwerk

Ein Osmosekraftwerk (Salzgradientenkraftwerk) ist ein Kraftwerk, das den Unterschied im Salzgehalt zwischen Süßwasser und Meerwasser nutzt, um daraus Energie zu gewinnen und Strom zu erzeugen. Vorschläge für ein Kraftwerk, das die Osmoseenergie (Salzgradientenenergie) technisch ausnutzt, wurden zuerst in den 1970er Jahren publiziert. Konkrete Forschungs- und Entwicklungsprojekte gibt es seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Als weltweit erster Prototyp eines Osmosekraftwerks wurde am 24. November 2009 im norwegischen Tofte am Oslofjord ein Kleinstkraftwerk in Betrieb genommen.[1]

Funktionsprinzip

Datei:Osmosekraftwerk-Schaubild2a.svg
Detaillierte Darstellung der Funktionsweise eines Osmosekraftwerks: Salzwasser wird zunächst gefiltert und unter Druck (Druckaustauscher) gesetzt, bevor es sich in den Membranmodulen mit Süßwasser vermischt. Durch die Turbine fließt genau soviel Wasser, wie in der gleichen Zeit durch die Membran diffundiert. Dazu muss in dieser Zeit ungefähr die doppelte Menge Salzwasser durch die Anlage geschleust werden, um den Konzentrationsunterschied aufrechtzuerhalten.

Die Energiegewinnung nutzt das physikalische Prinzip der Osmose: Stehen Süß- und Salzwasser über eine semipermeable Membran miteinander in Kontakt, strömt reines Wasser durch die Membran zur Salzwasserseite, auf der sich ein Druck aufbaut, mit dessen Hilfe eine Turbine zur Stromerzeugung angetrieben werden kann. Bei einem Salzgehalt von 3,5 % ergibt sich bei einer Temperatur von 10 °C ein osmotischer Druck von rund 28 Bar, der jedoch innerhalb der Anlage durch die eintretende Verdünnung abnimmt. Die Osmose erzielt maximale Leistung, wenn die statische Druckdifferenz die Hälfte des osmotischen Druckes beträgt und die andere Hälfte zur Überwindung des Membranwiderstandes zur Verfügung steht.

Die technische Realisierung erfordert spezielle Membranen, die Salze effizient zurückhalten, aber gleichzeitig gut durchlässig für Wasser sind. Wegen des Mangels an geeigneten Membranen konnte das Prinzip in den 1970er Jahren nicht realisiert werden. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es neue Ansätze, um geeignete Membranen aus Polymeren zu entwickeln.

Schematische Darstellung des zugrundeliegenden Funktionsprinzips

Der direkte Energielieferant für ein Osmosekraftwerk ist der Unterschied im Salzgehalt (der Salzgradient) zweier Lösungen, die dazu tendieren, ihre Konzentrationen anzunähern. Im Unterschied zu konventionellen Wasserkraftwerken ist die treibende Kraft bei der Energiegewinnung nicht die Lageenergie (wie bei Speicherkraftwerken) oder die Kombination aus kinetischer und Lageenergie großer Wassermassen (wie bei Laufwasserkraftwerken), sondern das höhere thermodynamische Potenzial des Süßwassers.

In einer indirekteren, übergeordneten Betrachtung wird die Energie für ein Osmosekraftwerk von der Sonne geliefert: Indem sie durch ihre Strahlung zur Verdunstung von Wasser aus dem Meer beiträgt, ermöglicht sie die Trennung von (im Meer verbleibendem) Salzwasser und (verdunstetem) Süßwasser. Das verdunstete Wasser fließt über Wolkenbildung, Niederschläge und Flüsse zurück ins Meer, wo bei der erneuten Durchmischung diejenige Energie in einem Osmosekraftwerk teilweise zurückgewonnen werden kann, die ursprünglich von der Sonne aufgebracht worden war. Die Osmoseenergie wird also von der Sonne „nachgefüllt“ und ist nach menschlichen Maßstäben unerschöpflich. Sie ist daher eine Form der Erneuerbaren Energien, was durch ihre Erwähnung im deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (unter dem Namen Salzgradientenenergie, s. § 3) bereits vor ihrer technischen Realisierung offizielle Anerkennung gefunden hat.

Potenzial für die Energiegewinnung

Mögliche Standorte für Osmosekraftwerke finden sich an Flussmündungen in das Meer. Daneben sind als Standorte alle Stellen denkbar, an denen zwei Wasserläufe mit unterschiedlichen Salzgehalten vorkommen, beispielsweise auch Direkteinleitungen von stark salzhaltigen Abwässern in Flüsse. Der erzielbare Energiegewinn ist umso größer, je höher die Durchflussmenge und je größer der Unterschied im Salzgehalt ist. Bei der Betrachtung von Energiepotenzialen von Osmose-Kraftwerken ist zu beachten, dass eine vollständige Nutzung eines gesamten Flusses in Osmose-Kraftwerken in der Praxis nicht realisierbar ist – aus technischen Gründen, ebenso wie aus Rücksicht auf die Schifffahrt und die Ökologie der Flüsse. Aus diesen Gründen ist die Betrachtung von ökologischen Potenzialen sinnvoll, welche neben den technisch bedingten Umwandlungsverlusten auch die Begrenzung der zulässigen maximalen Wasserentnahmemenge mit einbeziehen.

Der potentialreichste Standort auf deutschem Boden ist die Mündung der Elbe in die Nordsee. Das ökologische Potenzial der Nutzung aller deutschen Flüsse, die in Nord- und Ostsee münden, wird mit ca. 42 MW bzw. ca. 330 GWh/a angegeben.[2] Hieraus ergibt sich ein Anteil von nur etwa 0,05 % des deutschen Strombedarfs welcher durch Osmose-Kraftwerke gedeckt werden könnte.[3] Die Abflussmengen von Rhein und Donau sind dabei nicht mitgerechnet, da diese außerhalb Deutschlands münden. Auf weltweiter Ebene wird das ökologische Potenzial auf ca. 65 GW bzw. ca. 520 TWh/a geschätzt.[4] Die Aufteilung des Potenzials auf die Kontinente und Regionen ergibt sich dabei analog zur Aufteilung der Abflusswerte.

Bezogen auf den Betriebsvolumenstrom könnten höhere spezifische Kraftwerksleistungen an Gewässern erreicht werden, die einen höheren Salzgehalt als Nord- und Ostsee aufweisen, insbesondere am Mittelmeer und vor allem an Salzseen wie dem Toten Meer oder dem Great Salt Lake in Utah, USA. Das Potential am Kara-Bogas-Gol östlich des Kaspischen Meers schätzt der Heidelberger Physiker Florian Dinger auf mehr als fünf Gigawatt.[5]

Umsetzung

Blick auf Statkrafts Prototyp eines Osmosekraftwerk bei Hurum in Norwegen

Die Grundlagen einer ausreichend stabilen Membran für die Großtechnische Nutzung wurden seit 2004 in einem von der EU geförderten Forschungsprogramm geschaffen.[6] Systempartner sind Statkraft SF (Norwegen), Instituto de Ciencia e Tecnologia de Polimeros (Portugal); Norwegian Institute of Technology SINTEF (Norwegen); Technische Universität Helsinki (Finnland) und das Helmholtz-Zentrum Geesthacht (Deutschland).[7] Aktuell ist eine elektrische Leistung von drei Watt pro Quadratmeter Membran erzielbar.[8][5]

Im Herbst 2007 verkündete der norwegische Staatskonzern Statkraft den weltweit ersten Bau eines solchen Kraftwerks bei Hurum, an einer Flussmündung im südlichen Ausläufer des Oslofjordes.[9] Am 24. November 2009 nahm der weltweit erste Prototyp den Betrieb auf.[10] Dabei wurden Membranen eingesetzt, die statt wie bisher 0,2 Watt elektrische Leistung pro Quadratmeter 3 Watt erbringen können.[11] Eine Projektgruppe am Helmholtz-Zentrum Geesthacht arbeitet im Rahmen eines von der EU geförderten Projekts an der Entwicklung von Membranen mit höherer Leistung. Deren Projektleiter Peinemann bezeichnet eine Leistung von fünf Watt pro Quadratmeter als Voraussetzung für den wirtschaftlichen Betrieb eines Osmosekraftwerks.[12]

Nächstes, für 2015 geplantes Ziel ist ein 25-Megawatt-Kraftwerk mit 5 Millionen Quadratmetern Membranfläche. Statkraft schätzt, dass Norwegen langfristig 10 % seiner elektrischen Energie aus Osmosekraftwerken decken kann.[8]

Literatur

  • Loeb, Sidney (1975): Osmotic Power Plants. Science 189, 654–655.
  • Loeb, Sidney (1998): Energy Production at the Dead Sea by Pressure-Retarded Osmosis: Challenge or Chimera? Desalination 120, 247–262.
  • Norman, Richard S. (1974): Water Salination: A Source of Energy. Science 186, 350–352.
  • Stenzel, Peter (2012): Potentiale der Osmose zur Erzeugung und Speicherung von Elektrizität. LIT Verlag, ISBN 978-3-643-11271-2.

Siehe auch

  • Gezeitenkraftwerk
  • Wellenkraftwerk
  • Meeresströmungskraftwerk
  • Meereswärmekraftwerk
  • Meeresenergie

Weblinks

Commons: Osmoseenergie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Vorlage:Commonscat/WikiData/Difference

Einzelnachweise

  1. Das weltweit erste Osmosekraftwerk ist eröffnet, Statkraft: Pressemitteilung vom 24. Nov. 2009
  2. Peter Stenzel: Potentiale der Osmose zur Erzeugung und Speicherung von Elektrizität. LIT Verlag, 2012
  3. Dr. Thomas Isenburg: Osmosekraftwerke: Potentialanalyse für eine Zukunftstechnologie. Ruhr-Universität Bochum, 2. Mai 2010, abgerufen am 21. September 2011.
  4. Peter Stenzel: Potentiale der Osmose zur Erzeugung und Speicherung von Elektrizität. LIT Verlag, 2012
  5. 5,0 5,1 Holger Dambeck: Osmosekraftwerk: Grüner Strom aus süßem Wasser. 30. März 2012
  6. The salinity power project. Abschlussbericht des Forschungsprogramms, Oktober 2004 (PDF; 314 KB)
  7. Max-Planck-Institut für Plasmaphysik Olivia Meyer: Osmosekraftwerk: Die Mischung machts. In: Energie-Persketiven. Newsletter des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik. Ausgabe 03/2005
  8. 8,0 8,1 Sebastian Balzter: Zukunftsmusik aus der Doppelgarage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 20. November 2008, S. 20
  9. Norweger bauen weltweit erstes Salzkraftwerk. In: ORF. 13. Oktober 2007
  10. Statkraft: Energiegewinnung durch Osmose: Weltweit erster Prototyp nimmt Betrieb auf. Pressemitteilung vom 24. November 2009
  11. Alexander Budde: Strom aus Salz: In Norwegen geht der weltweit erste Prototyp eines Osmosekraftwerks in Betrieb. In: Deutschlandradio. 23. November 2009
  12. Anna-Lena Gehrmann: Flussmündungen: Sauberen Strom mit Osmose erzeugen. In: Spiegel Online. 2. April 2006