Dehnviskosität
Mit Dehnviskosität ist die Viskosität in Dehnung, in der Regel in uniaxialer Dehnung, gemeint. Dehnbeanspruchung tritt nicht nur im Festkörper auf (Zugversuch), sondern auch in technisch relevanten Strömungsformen.
Die Dehnviskosität ist definiert als
- $ \mu ={\frac {\sigma _{H}}{{\dot {\epsilon }}_{H}}}, $
wobei
- $ \sigma _{H} $ die wahre Spannung
- $ {\dot {\epsilon }}_{H} $ die wahre Dehngeschwindigkeit ist.
In vielen Fällen steht die Dehnviskosität in einem konstanten Verhältnis zur Scherviskosität. Im Falle einer uniaxialen Dehnung, der rheologisch wichtigsten Form, ist die Dehnviskosität dreimal so hoch wie die Scherviskosität - das sogenannte Trouton-Verhältnis. Dieses lässt sich aus dem Zusammenhang zwischen Scher- und Dehnmodul für eine Querkontraktionszahl von 0,5, d.h. einer inkompressiblen Flüssigkeit, ableiten. Für Hencky-Dehnungen $ \epsilon _{H} $ von typischerweise größer 0,7 treten bei vielen nicht-Newtonschen Materialien Abweichungen vom Trouton-Verhältnis auf.
- Bei Materialien mit Füllstoffen wird häufig eine geringere Dehnviskosität als aus dem Trouton-Verhältnis erwartet gefunden, was als Dehnentfestigung (im englischen "strain softening" bezeichnet). Diese Effekt ist technisch eher unerwünscht, da er das Verarbeitungsverhalten von Kunststoffen negativ beeinflusst.
- Materialien mit bestimmten molekularen Eigenschaften, v.a. mit Langkettenverzweigungen, wird hingegen eine höhere Dehnviskosität gefunden als aus dem Trouton-Verhältnis zu erwarten wäre. Dies wird als Dehnverfestigung (engl. "strain hardening") bezeichnet und wirkt sich positiv auf die Kunststoffverarbeitung aus. Dies liegt daran, dass die Dehnverfestigung zu einer Selbstheilung von Inhomogenitäten führen kann, was eine verbesserte Prozessstabilität bewirkt.
Dehnströmungen sind in folgenden Verarbeitungsprozessen von Kunststoffen dominierend:
- Faserspinnen
- Folienblasen
- Tiefziehen
- Schäumen
- Hohlkörperblasen
Des Weiteren sind die Dehnströmungen noch in folgenden Prozessen wesentlich:
- Verkleinerung von Querschnitten (entspricht dem Venturi-Effekt), auch Kapillareinlaufströmungen genannt.
- Vergrößerung von Querschnitten, auch Kapillarauslaufströmungen genannt.
Literatur
- Einführung der Henckydehnung: Hencky H (1928) Über die Form des Elastizitätsgesetzes bei ideal elastischen Stoffen. Zeitschrift für technische Physik 9 215-220.
- Erste Beschreibungen der heute üblichen Formen von uniaxialen Dehnrheometern:
- Konstante Probenlänge: Meissner J (1969) Rheometer for the study of mechanical properties of deformation of plastic melts under definite tensile stress. Rheologica Acta 8 (1): 78-88.
- Konstantes Probenvolumen: Münstedt H (1979) New Universal Extensional Rheometer for Polymer Melts. Measurements on a Polystyrene Sample. Journal of Rheology 23 (4): 421-436.
- Einführung des Troutonverhältnisses: Trouton FT (1906) On the viscous traction and its relation to that of viscosity. Proc Roy Soc 77 426