Cyanamid

Cyanamid

Strukturformel
Struktur von Cyanamid
Allgemeines
Name Cyanamid
Andere Namen
  • Alzodef
  • Amidocyanogen
  • Carbamidsäurenitril
  • Carbamonitril
  • Carbodiimid
  • Cyanogenamid
  • Cyansäureamid
  • Defolup
  • Hydrogencyanamid
  • Karbamonnitril
  • Karbodiimid
Summenformel CH2N2
CAS-Nummer 420-04-2
PubChem 9864
Kurzbeschreibung

farbloser, hygroskopischer Feststoff[1]

Eigenschaften
Molare Masse 42,0 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

1,28 g·cm−3[2]

Schmelzpunkt

44 °C[2]

Siedepunkt

260 °C (Zersetzung)[2]

Dampfdruck

0,5 Pa (20 °C)[2]

Löslichkeit

gut löslich in Wasser, Ethanol und Diethylether sowie vielen polaren organischen Lösungsmitteln[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [3]
06 – Giftig oder sehr giftig

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301-312-315-319-317
P: 235-​261-​280-​305+351+338-​309-​310Vorlage:P-Sätze/Wartung/mehr als 5 Sätze [2]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [4] aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [3]
Giftig
Giftig
(T)
R- und S-Sätze R: 21-25-36/38-43
S: (1/2)-3-22-36/37-45
MAK

1 mg·m−3[2]

LD50

125 mg·kg−1 (oral, Ratte)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
Vorlage:Infobox Chemikalie/Summenformelsuche vorhanden

Cyanamid ist das Amid der Cyansäure. Es kann auch als Nitril der Carbamidsäure und in seiner Gleichgewichtsform Carbodiimid auch als Diimid des Kohlenstoffdioxids aufgefasst werden.

Gewinnung und Darstellung

Cyanamid kann durch Hydrolyse des im Frank-Caro-Verfahren dargestellten Calciumcyanamids (auch Kalkstickstoff) in Gegenwart von Kohlendioxid hergestellt werden:

$ \mathrm {CaCN_{2}+H_{2}O+CO_{2}\ \rightarrow \ H_{2}NCN+CaCO_{3}} $

Lässt man Chlorcyan mit Ammoniak reagieren, dann entsteht ebenfalls Cyanamid, welches mit Carbodiimid im Gleichgewicht steht.

$ \mathrm {Cl{-}C{\equiv N}\ +\ NH_{3}\ \xrightarrow {-HCl} \ } $ $ \mathrm {\ H_{2}N{-}C{\equiv N}\ \rightleftharpoons \ HN{=}C{=}NH} $

Eigenschaften

Cyanamid ist eine farb- und geruchlose, kristalline, hygroskopische Substanz mit recht hoher Reaktivität, die beim Erhitzen teils explosionsartig polymerisiert. Der giftige Stoff ist brennbar und gut löslich in Wasser (850 g·l−1 bei 25 °C) und organischen Lösungsmitteln. Die als Handelsform blau eingefärbte 50%ige wässrige Lösung reagiert sauer (pH-Wert 3,5–4,2 bei Konzentration von 560 g·l−1 bei 20 °C).[2]

Verwendung

Seit Mitte der 1960er Jahre gibt es Verfahren, Cyanamid zu stabilisieren und im industriellen Maßstab zur Verfügung zu stellen. Wegen der starken Neigung zur Selbstkondensation (Dimer : Dicyandiamid, Trimer: Melamin) in alkalischem Milieu werden Cyanamidlösungen durch Zugabe von 0,5 Gew.% NaH2PO4-Phosphatpuffer stabilisiert. Stabiles festes Cyanamid wird erzeugt durch vorsichtiges Eindampfen einer stabilisierten Cyanamidlösung und anschließende Zugabe eines hydrolyselabilen Ameisensäureester, der Feuchtigkeitsspuren absorbiert (Unterdrückung der Harnstoffbildung), Alkalispuren (Ammoniak) neutralisiert und fortwährend geringe Mengen Ameisensäure freisetzt.[5]

Cyanamid dient in der Landwirtschaft als Dünger und als Pflanzenwachstumsregulator, indem es die Keimruhe bei Obstpflanzen (Tafeltrauben, Kiwis, Äpfeln, Birnen) aufhebt (engl. dormancy breaking agent). Die 50%ige wässrige Lösung wird außerdem als Biozid (Desinfektionsmittel) besonders in der Schweinezucht eingesetzt, da es wirksam Salmonellen und Dysenteriebakterien abtötet und Fliegen in allen Entwicklungsstadien bekämpft.[6]

In der Chemischen Industrie wird Cyanamid als vielfältiger Ausgangsstoff, z. B. zur Herstellung von Herbiziden, Kunstharzen (Härtung von Epoxiden) sowie als Bleichaktivator für Wasserstoffperoxid bei alkalischem pH-Wert in Waschmitteln und zur chlorfreien Zellstoffbleiche benötigt.[7] Der Großteil des Cyanamids wird sofort zu Cyanoguanidin umgesetzt und weiterverarbeitet.[2]

Cyanamid kann als funktionelles Einkohlenstofffragment aufgefasst werden, das als Elektrophil oder Nucleophil reagieren kann. Eine zweckmäßige Methode zur Darstellung sekundärer Amine, die nicht mit primären oder tertiären Aminen verunreinigt sind, ist die Umsetzung von Cyanamid mit Alkylhalogeniden zu N,N-Dialkylcyanamiden, die leicht zu Dialkylaminen hydrolysiert und decarboxyliert werden.[8] Cyanamid addiert sich in Gegenwart von N-Bromsuccinimid NBS an olefinische Doppelbindungen. Das Additionsprodukt wird durch Basen in N-Cyanaziridine umgewandelt[9], in Gegenwart von Säuren zu Imidazolinen cyclisiert, aus denen durch alkalische Spaltung vicinale Diamine dargestellt werden können.[10]

Cyanamid eignet sich auch als vielseitiger Synthesebaustein für Heterocyclen: aus 1,2-Diaminobenzol (o-Phenylendiamin) entsteht 2-Aminobenzimidazol[11], mit dem leicht zugänglichen cyclischen Enamin 4-(1-Cyclohexenyl)morpholin[12] und elementarem Schwefel ein 2-Aminothiazol in guten Ausbeuten.[13] Aus Cyanamid und Chlorcyan ist Natriumdicyanamid in guter Ausbeute und hoher Reinheit zugänglich[14], das als Zwischenprodukt für Synthesen von pharmazeutischen Wirkstoffen eignet.[15]

Bei der industriellen Synthese des für Muskel-, Nerven- und Hirnfunktion essentiellen Kreatins wird der Guanidinrest durch Reaktion von Cyanamid mit Sarkosin eingeführt.[16]

Reaktionsgleichung

Dieser Syntheseweg vermeidet weitgehend problematische Verunreinigungen mit Chloressigsäure, Iminodiessigsäure oder Dihydrotriazin, die bei anderen Routen auftreten. Analog wird die physiologische Vorstufe Guanidinoessigsäure durch Reaktion von Cyanamid mit Glycin erhalten.

Abgeleitete Verbindungen

Sicherheitshinweise

Cyanamid ist ein Kontaktgift, das seine Wirkung durch Aufnahme über die Haut entfalten kann. Aufnahme über die Atemwege ist aufgrund des hygroskopischen Charakters und des niedrigen Dampfdrucks der Substanz unwahrscheinlich. Die Resorption über Magen und Verdauungstrakt geschieht schnell, aber unvollständig.[2]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.5. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 2,9 Eintrag zu CAS-Nr. 420-04-2 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 2. Januar 2013 (JavaScript erforderlich).
  3. 3,0 3,1 Eintrag aus der CLP-Verordnung zu CAS-Nr. 420-04-2 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich)
  4. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  5. K.-D. Wehrstedt et al., "Safe transport of cyanamide", J. Hazardous Mater., 170, S. 829–835 (2009).
  6. http://www.alzchem.de/de/maerkte-produkte/landwirtschaft/alzogur-reg
  7. Europäische Patentanmeldung EP-A-0 479 319, Anmelder: SKW Trostberg AG, angemeldet am 4. Oktober 1991.
  8. A. Jonczyk, Z. Ochal, M. Makosza, Synthesis, S. 882 (1978).
  9. K. Ponsold, W. Ihn, Tetrahedron Lett., S. 1125 (1970).
  10. H. Kohn, Sang Hun Jung, J. Am. Chem. Soc., 105, S. 4106 (1983).
  11. Angew. Chem. Int. Ed. 12, S. 841 (1973).
  12. Org. Synth., Coll. Vol. 5, S. 808 (1973).
  13. K. Gewald, H. Spies, R. Mayer, J. Prakt. Chem., 312, S. 776 (1970).
  14. Verfahren zur Herstellung von Natrium-Dicyanamid, veröffentlicht am 10. August 2000, Anmelder: SKW Trostberg AG.
  15. Lonza: Natriumdicyanamid
  16. Deutsche Offenlegungsschrift DE-OS 10 2006 016 227 A1, Offenlegungsdatum: 11. Oktober 2007, Anmelder: Degussa GmbH.