Perniziöse Anämie

Perniziöse Anämie

Die perniziöse Anämie (perniziös = schädlich, verderbend), auch Morbus Biermer genannt, ist eine Form der Anämie (Blutarmut), die auf einem Mangel an Vitamin B12 beruht. Vitamin B12 spielt eine bedeutende Rolle in der Blutbildung und beim Abbau von sog. ungradzahligen Fettsäuren; außerdem ist es für die Synthese der DNA wichtig.

Vitamin B12 kann ausschließlich von Mikroorganismen produziert werden.[1] Diese finden sich in der Darmflora von Tieren und auch des Menschen. Vorkommen in tierischen Lebensmitteln wie Leber ist durch die Speicherung des aufgenommenen Vitamin B12 im tierischen Organismus begründet. Der tägliche Bedarf beträgt 2–6 µg. Das Vitamin wird aus der Nahrung im Darm mit Hilfe eines speziellen, im Magen ausgeschütteten Eiweißmoleküls (intrinsischer Faktor) aufgenommen, welches das Vitamin bindet und es so vor einer Zerstörung schützt.

Ein Mangel an B12 kann zu einer Anämie und/oder vielfältigen neurologischen Schäden führen. Eine unbehandelte perniziöse Anämie ist tödlich.

Klassifikation nach ICD-10
D51.0 Vitamin-B12-Mangelanämie durch Mangel an intrinsischem Faktor
ICD-10 online (WHO-Version 2013)

Ursachen des Mangelzustandes

  • gestörte Resorption infolge eines Mangels an intrinsischem Faktor, dieser kann durch eine chronische Entzündung der Magenschleimhaut, als Folge einer Autoimmunerkrankung oder einer Erbkrankheit, nach einer operativen Entfernung des Magens (Gastrektomie) oder durch den erhöhten Vit. B12-Verbrauch durch Parasiten im Darm (Würmer) entstehen;
  • verminderter Gehalt in der Nahrung, z. B. bei unausgewogener veganer Kost oder Alkoholismus;
  • intensiver Gebrauch von Magensäure hemmenden Mitteln, Magenschutz;
  • Anwendung von N2O, Distickstoffmonoxid (Lachgas) bei Operationen, Betäubungen oder beim Missbrauch als Droge.

Unterschiede Gastritis Typ A und Typ B

Bei der Typ-A-Gastritis handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung des Magens, bei der die Antikörper gegen die Parietalzellen und den intrinsischen Faktor gerichtet sind. Befallen sind Corpus und Fundus. Bei der Typ-B-Gastritis handelt es sich um eine Helicobacter pylori-Infektion, die Antrum, Corpus und Fundus des Magens befällt (pyloro-kardiale Expansion der Gastritis, S.E. Miederer 1969).

Symptome

Die Kombination und Ausprägung der Symptome kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein.

Anämische Symptome

Die typischen Beschwerden sind Müdigkeit, Leistungsverminderung, Erhöhung der Herzfrequenz, Blässe und Kollapsneigung als Folge der Blutarmut. Weiter wird ein Ikterus (Gelbfärbung der Haut) beobachtet, eine entzündlich gerötete, „glatte“ Zunge (atrophische oder Hunter-Glossitis: feuerrote, eingesunkene Flecken oder Streifen, umgeben von hellen, violettgrauen Bezirken mit unveränderter oder fehlender Papillenzeichnung; die Atrophie kann fortschreiten und zu weitgehendem oder vollständigem Verlust der Zungenpapillen führen, der sogenannten Spiegelzunge), Verdauungsstörungen und Bauchschmerzen.

Neurologische Symptome

Neurologische Symptome treten häufig ohne Anzeichen einer Anämie auf. Diese imponieren als Missempfindungen oder Taubheitsgefühl der Haut (Kribbeln, pelziges Gefühl), eingeschlafene Hände und Füße, Gangunsicherheit, Koordinationsstörungen oder seltener Lähmungen. Das Vollbild dieser durch eine demyelinisierende Rückenmarksdegeneration entstehenden Symptome heißt funikuläre Myelose. Auch Sehstörungen oder das Bild einer Polyneuropathie sind möglich. Schließlich sind auch psychische Symptome wie mangelhafte Merkfähigkeit, Konzentrationsschwäche, Depressionen und Psychosen („megaloblastic madness“) sowie Schizophrenie und Demenz beschrieben worden.

Diagnose

Die Diagnose wird durch Laboruntersuchungen gesichert:

Laboruntersuchung

Sicherer Test

zusätzlich zu testen:

Neuer Test

Unterstützende Tests (hohe Gefahr von falschen (negativ wie positiv) Ergebnissen)[4]

  • Methylmalonsäure im Blut (nicht anwendbar bei Nierenkrankheiten und Dehydrierung)
  • Hinweis auf Anämie, wenn im Blutbild die typische makrozytär-hyperchrome Anämie besteht. (Wenige große rote Blutzellen mit viel Hämoglobin beladen; siehe auch Erythrozytenverteilungsbreite.) Folsäure kann das Blutbild trotz B12-Mangels als „normal“ erscheinen lassen. Neurologische Schäden entstehen oft vor den Anzeichen einer Anämie im Blut.
  • Hinweis auf Aufnahmestörung von Vitamin B12 durch den Darm mit Hilfe des Schilling-Tests (Einnahme von radioaktiv markiertem Vitamin B12, das bei Aufnahme anschließend im Harn erscheint). Gefahr von falschen Normalwerten, da einige zwar kristallines B12, aber nicht nahrungsgebundenes B12 aufnehmen können.

Bei der Ursachensuche ist eine Magenspiegelung (Gastroskopie) mit Probenentnahme (Stufenbiopsie) zum Nachweis einer atrophischen Gastritis üblich.[5] Auch Stuhluntersuchungen mit Kulturen auf Mikroorganismen und die Prüfung auf Wurmeier kann man durchführen. Die Gastroskopie kann allerdings keinen B12-Mangel ausschließen.

Zur Diagnose gehört eine körperliche inklusive neurologischer Untersuchung.

Anti-Parietalzellen-Autoantikörper

Bei der autoimmunen Form des Vitamin-B-12-Mangels finden sich nur bei ca. 60 % Anti-Parietalzellen-Autoantikörper, die sich gegen die a- und b-Untereinheit der Magen H+/K+-ATPase richten. Bei der H+/K+-ATPase handelt es sich um ein Wasserstoffionen transportierendes Enzym, das für die Bildung der Magensäure notwendig ist ("Protonenpumpe"). Die H+/K+-ATPase gehört zu den elektroneutralen Ionenpumpen.

Blutbild

Eine perniziöse Anämie kann auch ohne Veränderungen im Blutbild bestehen. Infolge eines Mangels verringert sich die Anzahl der roten Blutkörperchen (Erythrozyten); außerdem erscheinen sie zu groß und enthalten pro Zelle vermehrt Hämoglobin, denn es kommt zu einer Störung der Zellteilung in den unreifen Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen im Knochenmark. In der mikroskopischen Untersuchung werden sogenannte Megaloblasten (sehr große Vorläuferzellen) und Megalozyten (sehr große Erythrozyten) gefunden. Im Verlauf wird auch die Bildung weißer Blutzellen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) beeinträchtigt.

bei megaloblastärer Anämie:

  • Blutbild, mikroskopisches Differentialblutbild (übersegmentierte Neutrophile?), Retikulozyten
  • CRP, LDH, Bilirubin, GOT, GPT, AP, γ-GT, Elektrolyte
  • Vitamin-B12-, Folsäure-, Ferritinkonzentration im Serum
  • bei unklarer Befundkonstellation: Knochenmarksuntersuchung

Folatstoffwechsel / Folsäure

Erhöhte Blutwerte von Methylmalonat und Homocystein zeigen sehr sensitiv eine Störung des Folatstoffwechsels an und können zur Differentialdiagnose bei Patienten mit neurologischen Veränderungen herangezogen werden, bei denen die Blutbildveränderungen und Vitaminkonzentrationen nur grenzwertig verändert sind. Folsäure kann einen B12-Mangel im Blutbild überdecken.[6]

Differentialdiagnostik

Krankheiten, bei denen B12-Mangel vorliegen kann:

  • Polyneuropathie, Fibromyalgie, generalisiertes Schmerzsyndrom
  • rheumatoide Arthritis, Rheuma, Arthritis
  • undifferenzierte Kollagenose, Lupus erythematodes, Antiphospholipid-Syndrom, Sklerodermie, Sjögren-Syndrom,
  • Borreliose
  • Krankheiten aufgrund erhöhten Homocysteins (Herzinfarkt, Schlaganfall)
  • Osteoporose
  • Arteriosklerose
  • Erkrankungen der Wirbelsäule, HWS / funikuläre Myelose[7][8]
  • Multiple Sklerose/ MS
  • Karpaltunnel Syndrom, Repetitive Strain Injury Syndrom
  • Restless-Legs-Syndrom / RLS und Tremor
  • chronisches Erschöpfungssyndrom / CFS
  • Demenz, Autismus, Alzheimer-Krankheit
  • Parkinson-Krankheit[9]
  • Depression
  • Schizophrenie
  • Erkrankungen der Schilddrüse, Hashimoto-Thyreoiditis
  • Unfruchtbarkeit[10], Fehlgeburt
  • Syndrom der blinden Schlinge (engl. blind-loop syndrome)
  • Erkrankungen mit gastrointestinalen Symptomen, z. B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
  • Aids
  • Diabetes mellitus
  • Hautkrankheiten wie Psoriasis-Arthritis/ Schuppenflechte[11] und Neurodermitis

Allgemeine Risikogruppen

  • Vegetarier und Veganer, insbesondere deren Kinder und Stillkinder
  • Senioren ab ca. 60 Jahre

Krankheiten, die einem Mangel zugrunde liegen können:

Behandlung

Wenn die Ursache nicht beseitigt werden kann, muss das Vitamin B12 lebenslang zugeführt werden. B12 muss in diesem Fall in sehr hohen Dosen von mindestens 1000 µg verabreicht werden. Das erste kommerziell erhältliche Medikament zur Behandlung der perniziösen Anämie mit Vitamin B12 als wirksamem Hauptbestandteil war Anfang der 1930er Jahre der aus Lebern von Schlachttieren gewonnene Extrakt Campolon der Firma Bayer AG, der bis etwa 1970 auf dem Markt blieb.

Im Falle der chronischen Magenschleimhautentzündung wird es in die Muskulatur oder subkutan gespritzt (ebenso bei einem ganz oder teilweise entfernten Magen). In den Fällen, bei denen ein Mangel des intrinsischen Faktors diagnostiziert werden kann, kann dieser gegeben werden, um die Fehlabsorption zu beheben. Bei einer chronisch atrophischen Gastritis vom Typ A besteht die Möglichkeit, die anfänglichen Entzündungszeichen und Veränderungen der Schleimhaut mit Cortison zu therapieren.

Die Therapie mit Vitamin B12 in der Form von Methylcobalamin und Adenosylcobalamin verspricht den größten Erfolg. In einer typischen Therapie werden in den ersten Wochen täglich bis dreitäglich 1000 µg gespritzt, sodann in einem 1- bis 2-monatigen Abstand lebenslang weiter Spritzen von ca 1000 µg verabreicht.

Orale Therapie (Tabletten): Entgegen der verbreiteten Annahme verspricht auch eine orale Therapie (Tabletten) erfolgreich zu sein. Durch Absorption von ca. 1 % ist selbst ohne intrischen Faktor eine Aufnahme möglich. Zu beachten ist hier eine Mindestdosis von 500 µg, um die Absorption zu ermöglichen. Um vergleichbare Erfolge zu erzielen, ist hier eine tägliche Dosis von mindestens 1000 µg erforderlich.[12][13] In jedem Fall ist eine regelmäßige Überprüfung der Werte wichtig.

Quellen

Weblinks

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