AT1-Antagonist

AT1-Antagonist

Strukturformel des AT1-Antagonisten Losartan

AT1-Antagonisten (Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1-Antagonisten, AT1-Rezeptorantagonisten, Angiotensin-Rezeptorblocker, „Sartane“) sind Arzneistoffe, die als spezifische Hemmstoffe am Subtyp 1 des Angiotensin II-Rezeptors wirken. AT1-Antagonisten werden zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt. Einige besitzen zudem Zulassungen für die chronische Herzinsuffizienz (Valsartan, Candesartan, Losartan), den Zustand nach Herzinfarkt (Valsartan) und die diabetische Nephropathie (im Rahmen der Hypertoniebehandlung - Losartan, Irbesartan). Die Substanzgruppe ist eine Weiterentwicklung der ACE-Hemmer und seit 1995 am Markt. Gegenüber den ACE-Hemmern bietet sie im Wesentlichen den Vorteil, dass die häufigste Nebenwirkung der ACE-Hemmer (trockener Reizhusten) deutlich seltener auftritt. Weitere organprotektive Vorteile sind Gegenstand zahlreicher aktueller Studien. Wegen des höheren Preises werden AT1-Antagonisten eher dann verschrieben, wenn ein ACE-Hemmer angezeigt wäre, dieser aber nicht vertragen wird.

Chemische Grundlagen

Die einzelnen Wirkstoffe sind chemisch relativ eng miteinander verwandt. Es handelt sich jeweils um Weiterentwicklungen der Muttersubstanz Losartan. Losartan war der erste nicht-peptidische AT1-Antagonist. Alle AT1-Antagonisten zeigen eine >10.000fache Selektivität für den AT1-Rezeptor im Vergleich zum AT2-Rezeptor. Mit Ausnahme von Valsartan haben die AT1-Antagonisten entweder ein Imidazol oder Benzimidazol Grundgerüst. Außerdem besitzen bis auf Eprosartan alle AT1-Antagonisten ein Biphenylsystem. An dieses Biphenylsystem ist entweder noch eine Carboxygruppe gebunden oder ein Tetrazolring, welcher als sog. Bioisoster sehr ähnliche chemische Eigenschaften wie eine Carbonsäure hat, aber verglichen mit der Carboxyfunktion aufgrund geringerer Polarität zu besserer oraler Bioverfügbarkeit führt.

Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

Wie bereits beschrieben, wirken die Arzneistoffe als spezifische Hemmstoffe (Antagonisten) am Subtyp 1 des Angiotensin-II-Rezeptors. Angiotensin II ist ein körpereigenes Hormon, das durch Katalyse des Angiotensin Converting Enzyme (ACE) aus Angiotensin I entsteht. Chemisch gesehen ist Angiotensin I ein Peptid, das durch Renin von dem Vorläuferprotein Angiotensinogen abgespalten wird.

Die Wirkung von Angiotensin II wird über zwei verschiedene Rezeptor-Subtypen vermittelt (AT1 und AT2). Die hauptsächliche blutdrucksteigernde Wirkung entsteht nach Bindung des Angiotensin II an die AT1-Rezeptoren. Dadurch bewirken Zellen der glatten Gefäßmuskulatur in den Arteriolen ein direktes Zusammenziehen der Gefäßmuskeln und damit eine Gefäßverengung. Der periphere Gefäßwiderstand erhöht sich und der Blutdruck steigt. In den Nieren kommt es daraufhin auch zu einer verminderten Durchblutung. Die Erhöhung des Blutdrucks wird zusätzlich gefördert durch eine AT1-Rezeptor-vermittelte verstärkte Rückresorption von Natriumionen in den proximalen Tubuluszellen der Nephronen in den Nieren. Diese Rückresorption wird nochmals verstärkt durch die Erhöhung der Aldosteronsynthese in der Nebennierenrinde. Der verringerte Verlust von Natriumionen führt schließlich dazu, dass auch weniger Wasser über die Niere ausgeschieden wird, das Blutvolumen damit vergrößert wird und der Blutdruck steigt.

Die AT1-Antagonisten haben gegenüber den ACE-Hemmern, die auch die Blutdruck erhöhende Wirkung des Angiotensin II verhindern, einen Vorteil, weil sie deutlich seltener einen trockenen Husten als Nebenwirkung verursachen. Der Grund liegt darin, dass das Angiotensin Converting Enzyme auch den Abbau von entzündungsfördernden Bradykininen katalysiert. Auch ein Angioödem, das als seltene Nebenwirkung von ACE-Hemmern auftreten kann, kommt unter einer Therapie mit einem AT1-Antagonisten deutlich seltener vor. Trotzdem sollten Patienten die das potenziell lebensbedrohliche Angioödem unter ACE-Hemmern als Nebenwirkung erlitten haben, nicht mit AT1-Antagonisten behandelt werden.

AT2-Rezeptoren werden als Gegenspieler des weitaus häufiger anzutreffenden AT1-Subtyps gesehen. Ihnen werden positive Eigenschaften in der Gefäßwandfunktion zugeschrieben. Nach Blockade der AT1-Rezeptoren durch AT1-Blocker stimuliert das durch einen negativen Feedback erhöhte Angiotensin II verstärkt die AT2-Rezeptoren und könnte so für über die Blutdrucksenkung hinausgehende organprotektive Eigenschaften der AT1-Blocker verantwortlich sein.

Aufnahme und Verteilung im Körper (Pharmakokinetik)

Die Substanzen werden nach der Aufnahme rasch im Dünndarm aufgenommen (resorbiert). Losartan wird zu einem großen Teil bereits bei der ersten Leberpassage zum pharmakologisch aktiven Metaboliten umgewandelt. Die Ausscheidung erfolgt entweder direkt über die Gallenwege in den Darm, einige Wirkstoffe werden zuvor in der Leber verstoffwechselt. Sämtliche AT1-Antagonisten werden nur zu einem geringen Teil über die Niere ausgeschieden. Dies erklärt die weitgehende Unabhängigkeit der Dosierung von einer möglichen Niereninsuffizienz.

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

Insgesamt sind AT1-Antagonisten gut verträglich und haben wenig Nebenwirkungen,- dies ist einer ihrer größten Vorteile.

Häufige Nebenwirkungen der AT1-Antagonisten sind:

  • Kopfschmerzen
  • Schwindel
  • Müdigkeit
  • Hyperkaliämie
(Wegen des fehlenden Aldosterons in den Sammelrohren der Niere werden keine ENac-Kanäle mehr eingebaut, wodurch normalerweise im Ausgleich zur Na+-Aufnahme K+ sezerniert wird.)

Selten tritt das

  • Angioödem (Quincke-Ödem)

auf, das besonders beim Anschwellen von Zungengrund, Mundboden oder Kehlkopf zu lebensbedrohlichen Zuständen führen kann. Dies tritt als Folge des Überschusses an Bradykinin auf, welches im Normalfall durch das ACE inaktiviert wird. Bradykinin hat eine gefässerweiternde und permeabilitätsverstärkende Wirkung.

Krebsrisiko

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA ist nach Auswertung aller zugänglichen Daten zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Verdacht auf ein leicht erhöhtes Risiko für das Auftreten von neuen Krebserkrankungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten (ARBs oder Sartanen) nicht bestätigt hat.[1][2]

In einer Metaanalyse aller öffentlich zugänglichen Studien zu Sartanen stieg das Risiko, innerhalb der Nachbeobachtungszeit (im Mittel 4 Jahre) neu an Krebs zu erkranken, von 6,0 auf 7,2 % an (signifikant),– daran zu sterben allerdings nur von 1,6 auf 1,8 % (nicht-signifikant). Bezogen auf einzelne solide Tumoren war nur das Risiko für Lungenkrebs signifikant erhöht (0,9 statt 0,7 %). 85 % (30.014) erhielten als Studienmedikament Telmisartan. Experimentelle Studien weisen auf einen Einfluss des Renin-Angiotensin-Systems auf Zellwachstum, Gefäßneubildung und Tumor-Progression hin.[3] Gesamt-Sterblichkeit und Lebensqualität waren nicht Gegenstand dieser Untersuchung.

Für eine spätere Network-Metaanalyse wurden dieselben öffentlichen Studien einbezogen sowie einige andere, um eine bessere Aussagekraft zu bewerkstelligen. Die Wissenschaftler erfassten zur Neuberechnung Daten von mehr als 324.000 Patienten und überprüften damit den Zusammenhang zwischen der Einnahme von blutdrucksenkenden Mitteln und einem erhöhten Risiko, an Krebs zu erkranken. Das Ergebnis war, dass das erhöhte Krebsrisiko durch ARBs (Angiotensin-II-Rezeptorblocker) widerlegt wurde und nur bei Patienten, die gleichzeitig Sartane und ACE-Hemmer eingenommen hatten, dieses Risiko nicht ausgeschlossen werden konnte.[4]

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Wirkstoffkombinationen bei Bluthochdruck

Aufgrund der Neuheit der Wirkstoffe sind mit Sicherheit noch nicht alle möglichen Wechselwirkungen bekannt. Generell kann die Wirkung von Medikamenten beeinflusst werden, die auch in der Leber verstoffwechselt werden (trifft nicht für alle AT1-Antagonisten zu).

Die Wirkung anderer blutdrucksenkender Medikamente kann verstärkt werden.

Durch gleichzeitige Einnahme von Indometacin oder ASS kann die Wirkung von AT1-Antagonisten abgeschwächt werden.

Gegenanzeigen (Kontraindikationen)

  • schweres chronisches Nierenversagen (Niereninsuffizienz)
  • Schwangerschaft und Stillzeit
  • beidseitige Nierenarterienstenose (Verengung der Nierenschlagader)
  • Hyperkaliämie (Erhöhung des Kaliums im Blut)
  • schwere Leberfunktionsstörungen, Gallenstau Cholestase
  • primärer Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom)
  • vorausgehendes Angioödem (Quincke-Ödem) unter der Einnahme von ACE-Hemmern.

Bedeutung, Vor- und Nachteile der AT1-Antagonisten

Das wesentliche Anwendungsgebiet dieser Wirkstoffgruppe ist der Bluthochdruck (alle), die chronische Herzinsuffizienz (nur Valsartan, Candesartan und Losartan) und der Zustand nach Herzinfarkt (nur Valsartan) oder eine Kombination aus diesen Erkrankungen und zusätzlichen Risikofaktoren wie Diabetes mellitus.

Ein immer noch vorhandener Nachteil gegenüber älteren Substanzgruppen zur Behandlung von Bluthochdruck und Herzinsuffizienz ist der meist höhere Preis der Vertreter dieser Medikamentengruppe trotz der zunehmenden Verfügbarkeit von Generika. Von Vorteil ist die bessere Verträglichkeit und die daraus resultierende höhere Einnahmetreue (=Compliance) der Patienten. In mehreren Bereichen (z. B. Herzinsuffizienz oder Diabetes mellitus mit Niereninsuffizienz) kann die Kombination aus einem AT1-Antagonisten und ACE-Hemmer zusätzliche Vorteile bringen. In mehreren prospektiven, randomisierten Studien konnte allerdings keine Überlegenheit der AT1-Antagonisten gegenüber den herkömmlichen ACE-Hemmern bewiesen werden.

Einzelstoffe

Folgende Vertreter aus der Gruppe der Sartane sind bekannt:

  • Azilsartan (Prodrug: Azilsartanmedoxomil)
  • Candesartan (Prodrug: Candesartancilexetil)
  • Eprosartan
  • Fimasartan
  • Irbesartan
  • Losartan
  • Milfasartan
  • Olmesartan
  • Pomisartan
  • Pratosartan
  • Ripisartan
  • Saprisartan
  • Tasosartan
  • Telmisartan
  • Valsartan

Von diesen werden Azilsartan, Candesartan, Irbesartan, Losartan, Olmesartan, Telmisartan und Valsartan therapeutisch verwendet.

Literatur

  • AT1-Antagonisten (Sartane) und Krebsrisiko. In: Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom 2. August 2010. Abgerufen am 3. August 2010 (115 kB, 17 Literaturangaben): „Analyse durch FDA als auch EMA inzwischen begonnen; hohe Verordnungszahlen in Deutschland sprechen für eine breite Anwendung auch bei Patienten, für die eher ein ACE-Hemmer angemessen wäre. Es ergibt sich derzeit kein Bedarf, die Empfehlungen für die Verordnung zu verändern.“
  • Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie. In: AWMF-Leitlinie (046/001). Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdruckes e. V., 19. Januar 2009, abgerufen am 3. August 2010 (537 kB, 121 S): „Stand 06/ 2008, gültig bis 06/ 2013“
  • Rote Liste Service GmbH (Hrsg.): Rote Liste Buch 2005. 1. Auflage. Editio Cantor Verlag, Aulendorf 2005 ISBN 3-87193-306-6
  • M. Bas, V. Adam, T. Suvorava, T. Niehues, T. K. Hoffmann, G. Kojda: Nonallergic Angioedema: Role of Bradykinin. Allergy, 62, S. 842-856, 2007 PDF (deutsch)
  • D. J. Campbell, H. Krum, M. D. Esler: Losartan Increases Bradykinin Levels in Hypertensive Humans. Circulation, 111, S. 315-320, 2005

Einzelnachweise

  1. Verdacht auf potenzielles Karzinogenitätsrisiko wurde nicht bestätigt Risikoinformation des BfArM vom 12. April 2012
  2. Chatterjee, S., Behles, C.: Krebsrisiko und kardiovaskuläre Mortalität durch Sartane? Aktueller Stand der Diskussion Bulletin zur Arzneimittelsicherheit - Ausgabe 4 - Dezember 2011
  3. I. Sipahi et al.: Angiotensin-receptor blockade and risk of cancer: meta-analysis of randomised controlled trials. The Lancet Oncology, 11, 7, S. 627-636, Juli 2010 doi:10.1016/S1470-2045(10)70106-6 PMID 20542468
  4. S. Bangalore u. a.: Antihypertensivedrugs and risk of cancer: network meta-analyses and trial sequentialanalyses of 324 168 participants from randomised trials. The Lancet Oncology, 12, 1, S. 65-82, Jan. 2011 doi:10.1016/S1470-2045(10)70260-6, PMID 21123111

Weblinks

Gesundheitshinweis Bitte den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten!